»Was können wir tun, wenn alles getan ist?«
So fragte Josef Beuys und riss damit Türen auf. Anselm Kiefer beantwortete die Frage mit Himmelsarealen, mit Asteroidenschwärmen, Funkenregen, Spiralen, Milchstraßen, Sternennebel und kalkweißen Sternzahlen.
Es ist eben nicht alles getan!
Nicht alle Dimensionen der Wirklichkeit, nicht die unserer Träume. Eine andere, auch fast unendliche Welt harrt noch weiterer Entdeckung und Erforschung. Kaum noch wurde sie dargestellt: Die Magie in der ozeanischen Tiefe, die alles verändernde Bewegung des Wassers selbst: Die Auflösung und faszinative Verwandlung aller irdischen Strukturen und Formen in nur für Nanosekunden fassbare Gestalten, schwebend im Kosmos Wasser. Früh schon habe ich mich dieser Welt des Wassers verschrieben. Bisher galt das Wasser in der Welt der Kunst als etwas Weiches, Numinoses, Formloses, das sich nur schwer darstellen läßt. Diese reduzierende Sichtweise verhinderte eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Ur- Lebenselement Wasser.
Wir kennen den ehernen Ausspruch: »Nur wenn etwas Form annimmt, beginnt es zu leben!«. Dass dieser Leitsatz, gerade was die künstlerische Darstellung des Wassers betrifft, von der Künstlerschaft bisher nicht wahrgenommen wurde, wird auch weiterhin ein Rätsel bleiben.
Erde und Pflanze, Tier und Mensch wurden seit Jahrtausenden in der Kunst mit akribischem Tiefgang ausgelotet, nicht aber das Wasser. Wenn jedoch die Welt des Wassers als formhaft erkannt, gesehen und erlebt wird, ist die Voraussetzung für die Darstellung dieses faszinierenden Universums gegeben. Dazu mussten die typischen, ausschließlich im Wasser vorkommenden optischen Äußerungen hervorgehoben, verdichtet und kompositionsgebend im Bild ihren Ausdruck finden. Dann erst konnte das künstlerische Abenteuer, den Körper Wasser sichtbar zu machen, beginnen. Nicht selten tauchten dabei mir bisher völlig unbekannte Charakteristika und Eigenheiten des Wassers auf, deren Umsetzung diffizil ist und Zeit für ihre Realisierung erfordert.
Ein frappierendes Wasserphänomen — hervorgerufen durch das Nebeneinander von ruhigem und aufgewühltem Wasser, stellt das »dualistische Erscheinen« von Formen jedweder Art in der Welt des Wassers dar. Findet dieses optische Spiel etwa mit einem menschlichen Antlitz statt, ist die Wirkung am verblüffendsten: Während die eine Gesichtshälfte kaum
verändert erscheint, zeigt sich die andere verzerrt und entstellt, manchmal sogar völlig zerstört. Zuweilen bilden sich aus dieser Zerstörung — ich bin geneigt zu sagen launenhafte, ganz frei erfundene Formen — welche mit dem Antlitz um das es hier geht, nicht mehr das Geringste zu tun haben: Jedenfalls nichts, was die erkennbare Form des Gesichts betrifft.
Wie sehr erstaunte ich, als ich miterlebte, wie die Hälfte des Kopfes und Oberkörpers eines Badenden plötzlich weggetragen wurde und in einiger Entfernung die Form eines Tisches annahm! Tausende von derartigen optischen Erscheinungen eines scheinbaren Verwirrspiels habe ich bisher beobachtet. Freilich war es nur möglich einen Bruchteil davon bildlich festzuhalten.
Die optischen Phänomene im Wasser gleichen sich, egal ob sie sich in einem Fluss, in einem See, im Meer oder in einer Wasserlacke abspielen. In der Welt des Wassers wird das Einfachste wie das Komplizierteste, das Bekannteste wie das Fremdeste optisch evoziert.
Das Wasser ist ein Phänomen; es birgt alle Stile in sich und äußert sich dennoch nur in einem: dem des Wassers.
Léos Aqua Aqua